Die Erklärung des Heiligen Messopfers
von Pater Martin von Cochem
Katechese
5. Kapitel
In der hl. Messe erneuert Christus Seine Geburt.
1. Von diesem allersüßesten Geheimnis der Geburt Christi singt auf
dem ganzen Erdkreis die hl. katholische Kirche: "Zu der selben Zeit
werden triefen die Berge
von Süßigkeit und die Hügel fließen von Milch und Honig." (Joel 3,
18.) Denn wahrhaftig haben an jenem Allerheiligsten Tage, an welchem
der eingeborene Sohn Gottes, mit der menschlichem Fleische bekleidet
aus dem Schoss der Jungfrau in diese Welt eintrat, die Berge
Süßigkeit getrieft und die Hügel sind von Milch und Honig geflossen.
Denn derjenige, dessen Süßigkeit über Milch und Honig geht,
derjenige, sage ich, welcher die überreiche Quelle aller Süßigkeit
ist, hat durch seinen Eintritt in die Welt alles versüßet: er hat
die wahre Freude vom Himmel
herab gebracht; er hat den Menschen, die eines guten Willens sind ,
Frieden angekündigt; er hat den Betrübten herzlichen Trost
eingegossen und hat die Welt durch die Morgenröte einer
gnadenreichen Zukunft erfreut.
2. O was für große Freude hatte in jener Nacht der himmlische Vater,
als er seinen allerliebsten Sohn, den er von Ewigkeit her erzeugt,
aus seiner Iiebsten Tochter Maria geboren sah! 0, welche Wonne
empfand der Sohn Gottes, als er sah, dass er nun mit einer so edlen
Menschheit bekleidet war, und nicht allein einen Vater im Himmel,
sondern auch eine Mutter auf Erden hatte! 0, was für ein
Wohlgefallen hatte der Heilige Geist, als er sah, wie derjenige,
welchen er von Ewigkeit durch das feste Band der Liebe mit dem Vater
verknüpft hatte, jetzt durch seine Mitwirkung so fest mit der
menschlichen Natur verbunden worden, dass er zwei unendlich weit
voneinander verschiedene Naturen in einer Person vereinigte! 0,
welcher Süßigkeit empfand die allerseligste Jungfrau Maria, als sie
ihr neugeborenes Kindlein ansah und erkannte, dass es
nicht allein ihr Söhnlein,
sondern auch Gottes des Vaters wahrer Sohn war!
3. 0, wie glückselig waren die damaligen Menschen, welche gewürdigt
wurden, das schönste unter allen Menschenkindern, mit ihren Augen
anzusehen, mit ihren Armen zu umfangen und mit ihrem Munde zu
küssen. Im Leben des hl. Joseph von Cupertino ist zu lesen, was der
hl. Bonaventura ihm hierrüber geoffenbart habe, dass nämlich nach
dem Besuch der heiligen drei Könige große Scharen aus allen Teilen
des Landes nach Betlehem hereingeströmt seien, um den neugeborenen
König der Juden zu sehen und sich über dessen englische Schönheit
gewundert hätten. Sie baten auch wohl dessen Mutter,
ihr liebliches Kindlein auf ihre Arme zu nehmen und an ihr
Herz drücken zu dürfen. Dies
habe denn auch die Mutter Gottes gerne zugegeben und mit
Verwunderung gesehen, wie ihr zartes Kindlein gegen die Frommen
liebkoste, den Bösen aber sich unfreundlich erwies.
4. Wiewohl wir jene glücklich schätzen, sind wir doch noch viel
glücklicher, weil wir ebendasselbe süße Kindlein täglich mit den
Augen des Glaubens anschauen und der Freuden seiner Geburt
teilhaftig werden können. Der hl. Papst Leo I. sagt: "Die englischen
und prophetischen Worte helfen und entzünden uns so sehr, dass wir
die Geburt Christi nicht als vergangen zu verehren scheinen, sondern
als gegenwärtig anschauen. Denn was der Engel zu den Hirten gesagt,
das hat auch unser Ohr gehört: „Siehe, ich verkündige euch eine
große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren" usw. Dieser
gnadenreichen Geburt können wir wirklich alle Tage beiwohnen, ja
selbige gleichsam mit unseren Augen anschauen, wenn wir nur zur hl.
Messe gehen wollen, denn da wird dieselbe wahrhaftig erneuert und zu
unserem Heile unaufhörlich fortgesetzt.
5. Dieses vernehmen wir aus den wahrhaften Offenbarungen der hl.
Äbtissin Hildegard, welche also schreibt: "Als unter der hl. Messe
Brot und Wein in das Fleisch und Blut Christi verwandelt wurden, da
erschienen mir auch die Zeichen seiner Menschwerdung und Geburt
gleich wie in einem Spiegel, ebenso, wie sie in dem Sohne Gottes, da
er auf der Erde war, vollbracht worden sind." Aus diesem von der
Kirche beglaubigten Zeugnis erkennen wir, dass die Geburt Christ bei
der hl. Messe erneuert und dem Himmel so lebhaft vorgestellt wird,
wie sie vor achtzehnhundert Jahren geschehen ist. Von wem und auf
welch Weise Christus in der heiligen Messe geboren wird, das sagt
uns der St. Hieronymus: "Die Priester schaffen Christus durch ihren
geheiligten Mund“, d.h. indem sie die heiligen Worte der Wandlung
aussprechen. Dies bezeugt auch Papst Gregor XIII., da er die
Priester ermahnt, vor der hl. Messe zu beten: "Ich will die hl.
Messe zelebrieren und den Leib und das Blut unseres Herrn Jesu
Christi bewirken."
6. Das lehrt uns auch die heilige Kirche, indem sie dem Priester
befiehlt, unter der hl. Messe denselben Lobgesang zu singen, welchen
die lieben Engel in der Christnacht gesungen: "Ehre sei Gott in der
Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens
sind." Das ist das Gloria der hl. Messe. Wenn du diesen Gesang
singen oder sprechen hörst, so stelle dir vor, als wenn der Engel
wieder sagte, was er zu den Hirten gesprochen: "Ich verkündige euch
große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren, und ihr
werdet das Kindlein finden in Windeln eingewickelt und in der Krippe
liegend." Stelle es dir so vor, sage ich, als wenn dein Schutzengel
zu dir sagte: "Erfreue dich, mein Kind, denn jetzt in dieser Messe
wird dein Heiland, zu deinem größten Heile wiederum geboren, und du
wirst ihn mit deinen Augen sehen unter der Gestalt der hl. Hostie."
Wenn auch dein Schutzengel dir dies nicht mit vernehmbaren Worten
sagt, so sagt es dir doch dein wahrer Glaube. Soll dir dies denn
nicht eine außerordentliche Freude sein? Wenn du dieses lebhaft
glaubst, so wirst du dich gegen das Christkindlein so verhalten, wie
sich diejenigen verhalten haben, die es mit eigenen Augen zu sehen
gewürdigt wurden.
7. In dem Leben der Altväter lesen wir, dass ein Priester Namens
Plegus, der allezeit die heilige Messe mit großer Andacht las, eine
besondere Begierde empfunden habe, zu erfahren, auf welche Weise
Christus unter den Gestalten des Brotes und Weines gegenwärtig sei,
nicht als ob er an der Gegenwart Christi gezweifelt hätte, sondern
weil er aus Liebe seinen Heiland hätte sehen mögen. Einstmals nun
wurde er unter der heiligen Messe nach der Wandlung von dieser
Begierde so entzündet, dass er auf seine Knie fiel und sprach: „ Ich
bitte Dich, allmächtiger Gott, Du wollest mir Unwürdigen die
leibliche Gestalt Jesu Christi in diesem heiligen Geheimnisse
zeigen, und mir verleihen, Ihn mit Augen anzuschauen und Ihn mit
meinen Händen zu berühren, wie einst Simeon Ihn auf seinen Armen
getragen hat.“ Während er so betete, erschien ihm ein Engel und
sprach:“ Siehe, hier ist Christus leiblicherweise gegenwärtig, wie
Ihn seine heilige Mutter auf dem Schoße getragen hat.“
Hierrüber erschrak der
Priester, und als er sein Haupt erhob, sah er auf dem Corporale den
Sohn Gottes als ein schönes Kindlein liegen, das ihn freundlich
anlächelte und ihm mit beiden Händlein winkte, Es auf seine Arme zu
nehmen. Er getraute sich dies aber aus Ehrerbietung nicht eher zu
tun, als bis der Engel zu ihm sprach:“ Siehe, hier ist Jesus, der
Sohn Gottes, welchen du zuvor unter der Gestalt des Brotes vor dir
liegen gesehen, in seiner eigenen Gestalt gegenwärtig; fürchte dich
nicht, sondern stehe auf, nimm Ihn ohne Scheu auf deine Arme und
erfreue dich in Gott, deinem Heilande!“ Durch diese Worte ermuntert,
stand er auf, nahm das Kindlein in seine zitternden Hände, drückte
Es zärtlich an seine Brust und liebkoste Es auf die süßeste Weise.
Dann legte er Es wieder auf das Corporale, fiel abermals auf die
Knie und bat Es demütig, Seine vorige Gestalt wieder anzunehmen, auf
dass er Es in der heiligen Kommunion in sein Herz aufnehmen und das
heilige Messopfer vollenden könne. Nach diesem Gebete stand er vom
Boden auf und sah das hochwürdigste Sakrament in der vorigen Gestalt
der heiligen Hostie, und genoss es mit besonders herzlicher Andacht.
Dieses schöne Beispiel habe ich deshalb hier erzählt, damit du
erkennen und glauben mögest, dass in der heiligen Messe das liebe
Christkindlein nicht nur in der Einbildung oder nur geistigerweise,
sondern in der Wahrheit leiblicherweise gegenwärtig ist; nämlich
ebendasselbe, welches von der Mutter Gottes zu Bethlehem geboren und
von den hl. drei Königen ist angebetet worden. Sein Angesicht aber
bedeckt es auch hier mit zarten Windelein, das sind die Gestalten
der hl. Hostie, welche wir mit unseren Augen sehen. Das liebe
Kindlein aber, welches darunter verborgen liegt, können wir nur mit
unseren innerlichen Augen des Glaubens sehen, welcher zubezweifelt
für wahr hält, dass Jesus unter diesen Gestalten verborgen ist. Der
Ursachen aber, weshalb Es sich nicht sehen lässt, sind viele, unter
welchen eine der ersten ist, damit wir Gelegenheit haben, unseren
Glauben in einer so hochwichtigen Sache zu üben und in einer jeden
Messe großen Lohne zu verdienen. Auf dass wir aber unser Glaube an
seine persönliche Gegenwart gestärkt werde, so hat Jesus sich von
vielen frommen Christen, ja oftmals auch von Juden und Heiden in
seiner natürlichen Gestalt sehen lassen. Davon will ich noch ein
Beispiel auswählen:
8. Albert Krantz beschreibt ausführlich, wie Kaiser Karl der Große
viele Jahre wider die heidnischen Sachsen stritt und sie von der
Abgötterei zum christlichen Glauben bringen wollte. Wiewohl er sie
oftmals mit seiner Kriegsmacht überwunden und zur Verleugnung ihrer
Götzen gezwungen hatte, wurden sie, angereizt durch ihren Herzog
Wittekind, allzeit wieder meineidig und verleugneten den
angenommenen christlichen Glauben. Als nun Kaiser Karl zum zwölften
Male mit einem mächtigen Heere in der Fastenzeit nach Sachsen zog
und das Osterfest gerade einfiel, befahl er seinem ganzen Heere,
dass sie sich zum Empfange der heiligen Sakramente bereiten und das
hl. Osterfest mit aller Andacht im Lager begehen sollten. Zur selben
Zeit kam den Herzog Wittekind in das kaiserliche Lager, den
christlichen Gottesdienst anzuschauen. Deswegen legte er seine
kostbare Kleidung ab und bekleidete sich, auf dass er nicht erkannt
werden möchte, mit schlechten Kleidern, ging ohne Gefährten als
Bettler in das Lager und bat die Soldaten um Almosen. Unterdessen
forschte er ganz offen alles aus und nahm wahr, dass der Kaiser und
seine Soldaten am heiligen Karfreitag betrübt einhergingen, strenge
fasteten, eifrig beteten, am Abend vor Ostern beichteten und am
heiligen Ostertage kommunizierten. Als nun die hl. Messe bis zur
Wandlung gekommen war, sah er mit leiblichen Augen, dass der
Priester ein überaus schönes Kindlein in seinen Händen hatte, ob
dessen Anblick er eine nie gekannte Süßigkeit in seinem Herzen
empfand und die übrige hl. Messe hindurch kein Auge von dem Priester
abwandte. Als die Soldaten zum heiligen Nachtmahle gingen, sah er
mit größter Verwunderung, dass der Priester einem jeden dasselbe
schöne Kindlein darreichte, und dass dasselbe von allen und jedem
empfangen und genossen wurde, jedoch nicht auf gleiche, sondern auf
gar verschiedene Weise. Denn zu einigen eilte das liebliche Kindlein
mit wunderbarer Freude, zu andern aber wollte es nicht hineingehen,
sondern wehrte sich mit Händen und Füssen und ward doch
hineinzugehen genötigt. Das alles sah der Herzog und konnte sich
über solch unerhörte Geheimnisse nicht genug verwundern. Nach
vollbrachtem Gottesdienste ging er zur Kirche hinaus, setzte sich
wieder unter die Bettler und erbat sich von den Hinausgehenden ein
Almosen. Der Kaiser gab jedem Bettler das Almosen mit eigener Hand.
Als auch Wittekind das seinige bekam, nahm ein Diener wahr, dass er
einen krummen Finger hatte, erkannte ihn daran und sagte es dem
Kaiser. Karl ließ ihn in sein Zelt berufen und sprach zu ihm: "Warum
gibst du dich für einen Bettler aus, da du doch der Herzog in
Sachsen bist?" Wittekind war erschreckt, da er fürchtete, er möchte
als Spion behandelt werden; dann sprach er zum Kaiser: "Wollet mir
das nicht übel anrechnen, denn ich habe es getan, damit ich desto
freier den Gottesdienst der Christen erforschen könnte." "Was hast
du denn gesehen?" fragte der Kaiser. Jener antwortete: "Ich habe
solche Wunderdinge gesehen, dergleichen ich noch nie gesehen und
gehört habe und die ich gar nicht begreifen kann." Als dann erzählte
er ihm alles, was er am Karfreitag, am Abend vor Ostern und am
Ostertag selbst bei der hl. Messe gesehen hatte, und bat den Kaiser
um die Erklärung dieser Geheimnisse. Dieser verwunderte sich sehr,
dass Gott diesem Heiden die Gnade erwiesen, das liebe Christkindlein
in der hl. Hostie mit Augen zu sehen, was doch so vielen Heiligen
verweigert bleibt. Danach erklärte er ihm die Ursache ihrer
Betrübnis am Karfreitag, wie auch ihres Fastens, Beichtens und
Kommunizierens, und rührte ihm sein Herz dermaßen, dass er sein
Heidentum abschwur, den christlichen Glauben annahm und nach
genugsamem Unterricht die hl. Taufe empfing. Er nahm auch einige
Priester mit und brachte mit deren Hilfe nach und nach das Herzogtum
Sachsen zu Christus.
9. Aus dieser wahren Geschichte, von welcher die Bekehrung der
heidnischen Sachsen ihren Anfang genommen hat, kannst du klar
erkennen, dass das liebe Christkindlein unter der Gestalt der
konsekrierten Hostie gegenwärtig ist und nicht allein frommen
katholischen Christen, sondern auch den Heiden in seiner natürlichen
Gestalt erschienen sei. Seine wahre, unbeschreiblich schöne Gestalt
verbirgt zwar Christus vor unseren sündigen Augen, aber nicht vor
den Augen Gottes, des Vaters, und des himmlischen Heeres, sondern
ihnen zeigt er sich in allen hl. Messen in solcher übernatürlichen
Schönheit, dass die heiligste Dreifaltigkeit unergründliche
Verherrlichung, die Mutter Gottes aber und die Engel und Heiligen
eine unaussprechliche Freude und Wonne daraus empfangen. Eben dies
ist, wie Christus zum ehrwürdigen Alanus gesprochen haben soll, der
größte Teil der Herrlichkeit Gottes, der größte Anteil der Freude
der Mutter Gottes, die größte Wonne der Heiligen.
10. Wenn die lieben Engel dies neugeborene Kindlein anschauen, so
fallen sie demütig auf ihre Knie und beten es ehrerbietig an. Das
deutet St. Paulus an, da er spricht: "Es sollen ihn anbeten alle
Engel Gottes." (Hebr. 1, 6.) In der hl. Christnacht hat Gott seinen
Erstgeborenen zum ersten mal in die Welt eingeführt, in allen hl.
Messen aber führt er ihn abermals ein, damit er sich für uns opfere
und die Früchte seiner Geburt uns mitteile. Alsdann beten ihn die
Engel an, wie die Kirche in der Präfation singt: "Deine Majestät
loben die Engel, es beten sie an die Herrschaften, die Mächte
erzittern vor ihr. Die Himmel und die Kräfte der Himmel samt den
seligen Seraphim feiern sie mit einstimmiger Freude.“ So haben sie
auch in der Christnacht gesungen:“Ehre sei Gott in der Höhe und
Frieden den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind." So
sollen wir in ihr Lob mit einstimmen und das süße Kindlein preisen,
weil Es zu unserem größten Heile wiederrum vom Himmel kommt, die
Gestalt eines Kindleins annimmt und die Verdienste seiner Geburt
allen Messehörenden reichlich austeilt.
Welche Freude der Himmel durch die erneuerte Geburt Christi
empfängt.
Diese hohen Dinge nach ihrer Würdigkeit zu erklären, ist kein
menschlicher Verstand würdig genug, sondern die Wissenschaft der
Engel ist dazu erforderlich: Wir können nicht im geringsten
begreifen, welche Freude die Allerheiligste Dreifaltigkeit aus
diesem Geheimnisse schöpfe; aber wir wissen aus der Lehre unseres
heiligen Glaubens, dass sie alle ihre Seligkeit aus sich selbst
empfange, und dass eine göttliche Person der andern ihre Freude
mitteile. Von der unerschaffenen Weisheit, nämlich vom Sohne Gottes,
sagt die heilige Schrift:“ Sie ist der Glanz des ewigen Lichtes und
der makellose Spiegel der Herrlichkeit Gottes und das Bild seiner
Güte" (Weish. 7,26). Dieser Spiegel ist von Ewigkeit her vor den
Augen des himmlischen Vaters, in Ihm schaut und erkennt der Vater
sich selbst aufs allerklarste und erfreut sich darüber unendlich.
Denn er hat darin gesehen, wie er es auch jetzt sieht und in
Ewigkeit sehen wird, was für ein großer, glorwürdiger, weiser,
aliwissender, allmächtiger, gewaltiger, schöner, reicher,
glückseliger und unendlicher Herr er ist und in alle Ewigkeit
bleiben wird. Diese eigene Erkenntnis und die immerwährende
Anschauung in diesem göttlichen Spiegel macht seine wesentliche,
vollkommene und unendliche Glückseligkeit aus. Wenn er außer dieser
keine Freude mehr hätte, worüber er sich freuen könnte, so wäre er
dennoch in alle Ewigkeit aufs vollkommenste selig und glücklich.
11. Dieser unbefleckte Spiegel ist ihm in der gnadenreichen Geburt
Christi auf eine neue Weise vor Augen gestellt, nämlich mit der
allerreinsten menschlichen Natur bekleidet und mit aller Kostbarkeit
der Tugenden und Vollkommenheiten eingefasst. Deswegen war - um auf
unsere Weise davon zu reden - für den himmlischen Vater die
Anschauung dieses Spiegels eine neue Freude, und der ganze
himmlische Hof nahm daran teil. Deswegen sangen die glückseligen
Geister in lauter Freude auf Erden ihren frohen Gesang und
bereiteten damit den Hirten eine unbegreifliche Wonne. Mit diesem
ihrem „Gloria in excelsis“ zogen die Chöre der Engel in den Stall
ein, warfen sich da vor dem neugeborenen Kindlein nieder und beteten
in tiefster Demut seine höchste Gottheit an.
12. Dies alles, was in der Christnacht vorgegangen ist, geschieht
noch täglich in jeder hl. Messe: der eingeborene Sohn Gottes wird in
den Händen der Priester wiederum Mensch und aus, ihrem Munde von
neuem geboren. Durch die Worte der Wandlung wird kein neuer Christus
erschaffen oder seine Person vervielfacht, sondern nur seine
persönliche Gegenwart wird vermehrt und an einem Orte
hervorgebracht, wo seine hl. Menschheit vorher nicht war. Er ist
zwar nur ein einziger Christus und bleibt auch nur ein einziger
Christus; dennoch ist er an den verschiedenen Orten nicht nur
geistiger, sondern auch leiblicher Weise wahrhaft gegenwärtig und
bleibt es so lange, wie die Gestalten bleiben. Wenn aber die
Gestalten sich verändern, so hört auch die persönliche Gegenwart
Christi auf, so zwar, dass, wenn Er nirgends mehr als unter diesen
Gestalten wäre, nach Veränderung dieser Gestalten auch Christus
vergehen und kein Christus mehr sein würde weder im Himmel noch auf
Erden.
13. Wenn nun dieser eingeborene Sohn Gottes von neuem geboren und
dieser sonnenklare Spiegel, geziert mit allen göttlichen
Vollkommenheiten, durch die Hände des Priesters erhoben und sowohl
von ihm wie vom Volke Gott aufgeopfert wird: was für Freude und
Wonne, meinst du, wird der himmlische Vater davon empfangen? Gewiss
keine geringere, als er in der hl. Christnacht an seinem lieben
Söhnlein empfunden hat. Denn an beiden Orten sieht er ein und
denselben lieben Sohn, von welchem er selbst gesagt hat: "Dies ist
mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe" (Matth.
3,17). Der Unterschied aber ist dieser, dass Christus damals mit
sterblichem Fleische bekleidet war, in der hl. Messe aber mit seinem
verherrlichten Leibe und mit den fünf allerkostbarsten Edelsteinen
seiner heiligen fünf Wunden geschmückt ist. Damals ward er
leiblicher Weise geboren, diesmal geistiger und doch wahrhafter
Weise.
14. Hierbei sollst du auch wissen, dass der himmlische Vater seine
Freude nicht allein im Anschauen dieses göttlichen Spiegels findet,
sondern dass auch dieser Spiegel, der lebendig und sein liebster
Sohn selber ist, Ihn mit kindlicher Neigung liebkose und ihn auf
unaussprechliche Weise erfreut. Diese Seligkeit, welche Gott von der
Menschheit Christi zuteilwird, übersteigt alle Freude, welche er aus
allem Lobe der Engel und aller Ehre der Heiligen und aus allem
Dienst frommer Menschen empfängt. Denn die hochwürdigste Menschheit
Christi, vereinigt mit der Gottheit zu einer Person und dadurch
vergöttlicht, vermag und weiß allein die Gottheit nach ihrer
unendlichen Hoheit würdig zu ehren, zu lieben und zu erfreuen. Dies
kann man aus den eigenen Worten Christi entnehmen, die Er zur hl.
Mechtild gesprochen hat: "Ich allein weiß und verstehe vollkommen,
wie Ich Mich täglich auf dem Altare für das Heil der Gläubigen
aufopfere, welches weder Cherubim noch Seraphim noch alle
himmlischen Kräfte völlig verstehen können." Gleichwie nun Christus
allein dies weiß, so weiß er auch allein, wie er täglich auf dem
Altar die hochwürdigste Gottheit würdig lieben und erfreuen soll. Er
verrichtet das mit solch herzlicher Lieblichkeit, dass weder
Cherubim noch Seraphim es verstehen, viel weniger verrichten können.
Das ganze Himmelsheer schaut zwar mit staunenden Augen und bebenden
Herzen zu, kann aber diese höchste Weise unendlicher Beseligung
nicht begreifen. Da nun dieses täglich in hunderttausenden von
Messen geschieht, o, wer will es denn ermessen, wer aussprechen oder
erklären, wie viele, wie große, wie süße Wonne die Allerheiligste
Dreifaltigkeit aus den täglichen Messen empfange!
0, mein liebster Gott, über diese Seligkeit erfreue ich mich von
Herzen und wünsche, Dir diese Freuden durch meine Andacht vermehren
zu können. Dich bitte ich, o Jesu, du wollest in allen heiligen
Messopfern an meiner statt die Allerheiligste Dreifaltigkeit lieben
und erfreuen und alle Liebe und Freude, die ich ihr zu erzeigen
unterlassen habe, überfließend erstatten.
15. Endlich wollen wir sehen, was für großes Heil die sündige Welt
durch die tägliche Erneuerung der gnadenreichen Geburt Christi
empfängt und erlangt. Von der ersten Geburt weissagte der Prophet
Isaias: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt" (Is.
9, 6). Eben dieses sage ich auch von der geistigen Geburt Christi in
allen hl. Messen. Welch kostbares Geschenk! Es ist nichts anderes
als der teuerste Schatz des ganzen Himmels, der allerreichste Sohn
des allerreichsten himmlischen Vaters. Dieser kommt in allen hl.
Messen aus dem himmlischen Paradiese und bringt unschätzbare
Reichtümer und himmlische Schätze mit, nämlich: göttliche Gnade und
Barmherzigkeit, Verzeihung der Sünden, Nachlassung der verdienten
Strafen, Besserung des Lebens, die Gnade selig zu sterben,
Vermehrung der himmlischen Seligkeit, wie auch Glück und Segen an
zeitlichen Gütern, Bewahrung vor Unglück, vor Sünde und Schande, ja
seinen ganzen göttlichen Segen. All dieses und vieles andere ist er
bereit, allen denen, welche die hl. Messe hören, freigebig
mitzuteilen und reichlich auszuspenden.
16. Wenn wir aber die Weissagung des Isaias noch besser erwägen, so
finden wir noch mehr darin, was zu unserem Trost uns geoffenbart
ist. Denn er sagt ausdrücklich, das Kind sei uns geboren, der Knabe
uns geschenkt. Wenn das ist, so ist er ja unser eigen, so ist alles,
was er hat, unser eigen, so ist alles, was er auf dem Altare tut,
unser eigen. So ist denn auch die Ehre, der Dank, der Dienst, das
Wohlgefallen, das er der hl. Dreifaltigkeit erweist, unser eigen.
Ist denn das dem armen Menschen, welcher der heiligen Messe bewohnt,
nicht ein großer Trost, wenn er daran denkt, dass nicht allein die
hl. Messe, sondern auch das liebe Jesulein ihm zum Eigentum
geschenkt worden ist? Wenn du in der hl. Christnacht im Stall zu
Bethlehem gewesen wärest, das süße Christkindlein auf deine Arme
genommen und Gott dem Vater aufgeopfert hättest mit der Bitte, dass
er sich deiner wegen dieses Kindleins erbarmen wolle, meinst du denn
nicht, dass er dich zu Gnaden aufgenommen und dir alle deine Sünden
verziehen hätte? So tue dies doch auch in der hl. Messe, besonders
in der Advents- und Weihnachtszeit; tritt im Geiste hin zum Altar,
nimm das Kindlein auf deine Arme und opfere es Gott dem Vater auf!
17. Nun ist noch ein Punkt zu erklären übrig, der sehr merkwürdig
und notwendig zu erklären ist, nämlich, dass Christus auf dem Altare
nicht allein gestigerweise geboren wird, sondern auch eine demütige
Gestalt annimmt, dass Himmel und Erde sich darüber wundern müssen.
Von der ersten Menschwerdung und Geburt Christi beschreibt St.
Paulus mit nachdrücklichen Worten, wie Christus sich dabei für uns
so sehr erniedrigt habe, indem er sagt: "Brüder, so sollet ihr
gesinnt sein, wie auch Jesus Christus gesinnt war, welcher, da er in
Gottes Gestalt war, sich selbst entäußerte, Knechtsgestalt annahm,
den Menschen gleich und im Äußeren wie ein Mensch erfunden ward. Er
hat sich selbst erniedrigt und ist gehorsam gewesen bis zum Tode, ja
bis zum Tode am Kreuze" (Phil. 2, 5-9).
18. Das sind sehr denkwürdige und beachtenswerte Worte, darin uns
der hl. Paulus die unergründliche Demut Christi erklärt und seine
Entäußerung vor Augen stellt. Wer aber die geistige Geburt Christi
bei der hl. Messe erwägt, der findet noch eine weit größere und ganz
unermessliche Demut Christi. Denn bei seiner leiblichen Geburt ward
er doch noch den Menschen gleich und nahm die Gestalt eines überaus
schönen, herzigen Kindleins an. In seiner geistigen Geburt in der
hl. Messe aber nimmt er die Gestalt des Brotes an und scheint nichts
anderes, als ein Stücklein Brot zu sein. Ja, er erniedrigt und
entäußert sich so sehr, dass er sich auch in das allerkleinste
Stücklein, welches ein scharfes Auge noch sehen kann, verbirgt.
19. Welch unergründliche Demut und unerhörte Entäußerung! Hiervon
kann Christus mit Fug und Recht sagen, was schon David im 21. Psalm
ihm in den Mund gelegt hat: "Ich bin ein Wurm und nicht ein Mensch,
der Leute Spott und des Volkes Verachtung." Denn wer achtet ein
solch kleines Teilchen? Wer
erkennt Es als seinen Gott? Wer erweist dem Heiland unter dieser
Gestalt die genügende Ehre und Ehrfurcht? Wo ist die Herrlichkeit,
welche seinem verherrlichten Leibe zusteht? Wo ist seine gewaltige
Allmacht? Wo seine Erhabenheit und Majestät, welche Himmel und Erde
in Schrecken und Furcht versetzt? Das alles hat er abgelegt und
stattdessen die größte Niedrigkeit angenommen. Denn derjenige,
welcher das göttliche Wort des Vaters ist, kann hier kein Wort
reden. Derjenige, welcher den Himmel erbauet hat, kann hier weder
Hand noch Fuß regen; derjenige, welchen die Himmel nicht fassen
können, wird hier von der Gestalt der kleinsten Hostie umschlossen
wie ein Gefangener. Derjenige, welcher zur Rechten Gottes auf dem
himmlischen Throne sitzt, der liegt hier wie ein gebundenes
Opferlamm auf dem Altare und ist bereit, noch einmal geistiger Weise
für uns geschlachtet zu werden. 0, wohl eine unergründliche Demut
des höchsten Herrn des Himmels und der Erde, o, wohl eine
unbegreifliche Liebe des treuesten Liebhabers der Menschenkinder!
20. Daneben unterwirft er sich auch den Priestern ja nicht allein
den frommen, sondern auch den gleichgültigen und lauen, und
überliefert sich so in ihre Hände, dass sie ganz nach ihrem Gefallen
mit ihm umgehen können. Ist denn das nicht auch eine unermessliche
Erniedrigung? Ja, was noch mehr zu verwundern ist, Er erniedrigt
sich so sehr, dass Er sich auch nicht weigert, von ihnen gesegnet zu
werden, da doch der hl. Paulus sagt:“ Ohne alle Widerrede wird, was
geringer ist, von dem größeren gesegnet.“ (Hebr. 7,7) Wie mag denn
Christus, der unendlich größer als der Priester ist, von diesem
unendlich Geringeren den Segen annehmen? Und doch segnet der
Priester nicht allein die heilige Hostie vor der Wandlung, sondern
auch nach derselben, und zwar fünfzehnmal! O der unergründlichen,
unermesslichen Erniedrigung! Als Christus kam, um sich von Johannes
taufen zu lassen, hielt dieser Ihn ab, indem er sagte: "Ich habe
nötig von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?" (Matth.
3,14). Gleicherweise sollte auch jeder Priester erschrecken und
sagen:“ Mein Jesu! Ich sollte von Dir gesegnet werden, und Du, o
Höchster Gott, willst von mir armseligen Sünder den Segen
empfangen!“ Welch großes Wunder! Warum aber verdemütigt sich
Christus so ganz, warum entäußert er sich so sehr? Willst du den
Grund wissen, so höre und staune.
21. Eine der wichtigsten Ursachen ist die, dass er durch diese seine
äußerste Erniedrigung den erzürnten Gott versöhnen und dessen
gerechte Strafe von den Sündern abwenden will. Denn es gibt ja doch
kein besseres Mittel, seinen Feind zu versöhnen, als sich vor ihm zu
verdemütigen und um Verzeihung zu bitten. Das sehen wir an dem
gottlosesten König Achab. Als diesem der Prophet Elias auf Gottes
Befehl geweissagt hatte, dass der Herr ihn und sein Weib und seine
Kinder wegen seiner schweren Sünden so hart strafen wolle, dass
keines von ihnen solle begraben, dass vielmehr ihre Leiber von den
Hunden und den Raben sollten gefressen werden, "da zerriss Achab
seine Kleider und tat ein härenes Bußgewand an seinen Leib, fastete,
schlief im Trauergewand und ging mit gebeugtem Haupte einher." Da
sprach Gott zu Elias: „Hast du Achab nicht gesehen, wie er sich
demütigte vor mir? Weil er sich also demütigte Meinetwillen, will
ich das Unglück nicht in seinen Tagen bringen, sondern in den Tagen
seines Sohnes will Ich das Unglück über sein Haus bringen." (3. Kön.
21, 28,29)
22. Wenn denn nun dieser gottlose König Achab, von welchem die
Heilige Schrift sagt, dass er an Gottlosigkeit nicht seinesgleichen
gehabt habe, durch seine Verdemütigung und Selbsterniedrigung den
allmächtigen Gott bewogen hat, die angedrohte Strafe nicht über ihn
kommen zu lassen, was muss dann nicht die alIeräußerste
Verdemütigung Christi auf dem Altare bei Gott bewirken, welcher sich
der Sünder wegen, die den Gerechten Gott durch ihren Hochmut und
ihre Bosheit zur Rache herausfordern, unendlich mehr verdemütigt,
als Achab es getan? Denn Er legt ja das Kleid der Glorie ab,
verbirgt sich unter der Gestalt der hl. Hostie, geht nicht etwa nur
mit gebeugtem Haupte, sondern liegt auf dem Altar wie ein geduldiges
Schlachtopfer und ruft von Grund seines Herzens zu Gott dem Vater um
Verzeihung der Sünden und Abwendung der Strafen von den armen
Sündern. Wird dann Gott nicht zu seinen Engeln sagen, was er zu
seinem Propheten gesagt hat: „Habt ihr nicht gesehen, wie sich mein
Sohn vor Mir demütigt?“ „Ja“, werden die Engel sagen, „wir sehen es
und staunen über die unendliche Erniedrigung unseres Herrn und
Gottes.“ Da wird ja Gott sagen: „Weil sich denn Mein göttlicher Sohn
um der Sünder willen so ganz entäußert und vor Mir verdemütigt, so
will Ich der Sünder schonen und sie nicht wegen ihrer schweren
Laster gebührend strafen.
23. Höre, O Sünder, was Gott spricht, und erkenne, woher es kommt,
dass der gerechte Gott dir dein Leben so lange erhält und dich nicht
schon längst nach dem Maße deiner Missetaten gestraft hat. Ich
meine, es kommt hauptsächlich daher, weil du oft der hl. Messe
beigewohnt hast und der Abbitte Christi teilhaltig geworden bist.
Dieser hat sich auf dem Altare deiner angenommen, sich an deiner
statt vor Gott verdemütigt und die verdiente Strafe von dir
abgewendet. Deswegen sei deinem treuen Fürsprecher dankbar und
sprich zu Ihm von ganzem Herzen:
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